Als Mitglieder des slowakischen Theologischen Forums (TF) grüßen wir Sie und danken für den Besuch Ihrer Vertreter beim TF am 16. Jänner 2012. Gleichzeit bringen wir auch unsere Unterstützung für Ihre Initiativen für die Reformen in der Kirche zum Ausdruck.
Mitglieder des Theologischen Forums sind Priester und Laien aus der Slowakei, denen die Erneuerung der Kirche, der Theologie und der kirchlichen Praxis im Geiste des II. Vatikanischen Konzils am Herzen liegen. Wir verstehen den Sinn und den Inhalt Ihres Aufrufes zum Ungehorsam vom 19. Juni 2011. Ebenso verstehen und schätzen wir auch die Initiativen anderer katholischen Reformbewegungen in Österreich. Wir danken Ihnen ganz aufrichtig für alle Aktivitäten. Sie setzen sich für die Reformen in der Kirche nach dem Vorbild des Evangeliums ein. Damit kämpfen Sie auch in unserem Namen und für uns, für die schöpferische Kraft der Kirche in der gegenwärtigen Welt.
Die Situation der Kirche in der Slowakei unterscheidet sich durch die langjährige Isolation von 1950 – 1990 von der Kirche in der Welt, in Manchem auch von der Situation in Österreich. Man muss daher damit rechnen, dass viele katholische Christinnen und Christen in der Slowakei die Formulierungen und Zusammenhänge der Forderungen der österreichischen Reformbewegungen nicht nachvollziehen können. Aus diesem Grund haben wir nicht alle Ihrer Forderungen und Selbstverpflichtungen übernommen. Inspiriert durch Ihren Aufruf haben wir aber einen ähnlichen Text verfasst. In unserem Aufruf wollen wir die Themen und Probleme unserer Lage in der Slowakei aufzeigen und damit gemeinsam mit Ihnen den Weg in Richtung Erneuerung einschlagen.
Bratislava, den 11. März 2012
Der Vorstand des Theologischen Forums.
Einleitung
In letzter Zeit wird der Ruf in der Kirche nach einem “Neubeginn” immer lauter. Auf höchster Ebene spricht man z. B. über die Neu-Evangelisierung. (Die nächste Synode im Vatikan wird sich mit diesem Thema beschäftigen). Theologieprofessoren, Pfarrer und Vertreter von Pfarrgemeinden (besonders im deutschsprachigen Raum) verweisen auf die Forderungen nach Reformen in der Kirche, die das christliche Leben in der heutigen Gesellschaft erneuern könnten.
Im TF sehen wir, dass die Lebenssituation in der Slowakei teilweise anders ist als in den westeuropäischen Ländern. Die Grundmerkmale, sowohl positive als auch negative in der Kirche, sind aber mehr oder weniger gleich. Darum wollen wir als katholische Christinnen und Christen neue Lösungen suchen und wir wollen an der Erneuerung der Kirche mitarbeiten. Im folgenden Text stellen wir als Theologisches Forum diese Thesen zur Diskussion und wollen danach handeln.
1. Gebet
Bei jeder passenden Gelegenheit werden wir die Notwendigkeit einer Erneuerung der Kirche ansprechen – im Geiste des Evangeliums und im Hinblick auf aktuelle Anforderungen der heutigen Zeit. Während der Gottesdienste und bei anderen geeigneten öffentlichen Auftritten werden wir für die Verwirklichung der kirchlichen Reformen beten. Wir beten auch für unsere Brüder und Schwestern in der Welt, die für die Erneuerung der Kirche eintreten.
2. Eucharistie
Eucharistiefeier verstehen wir als Ereignis der Gemeinde, die in die Liebe Christi eintaucht. Wir werden auf den Unterschied zwischen der Eucharistiefeier nur nach den Normen der Kirche und der Eucharistiefeier auch nach dem Beispiel Jesu hinweisen. Wir werden uns bemühen, dass die Gemeinschaft der Eucharistiefeier einladend auch jene einbezieht, die sich durch die Regelungen der Kirche von dieser Gemeindefeier ausgeschlossen fühlen, obwohl sie das gleiche erleben möchten, was Christus den Gerechten aber auch Ungerechten – Sündern – zuteil werden ließ. Er hat ja vor allem die Sünder gesucht. Wir sollen heute ähnlich getauften Katholiken entgegenkommen, die sich nicht mit allen Einzelheiten der Kirche identifizieren können sowie Personen anderer christlicher Kirchen oder Menschen, die auf der Suche sind und die nie Mitglieder einer Kirche waren, aber auch sogenannten „Problemgruppen“, wie z.B. Wiederverheirateten Geschiedenen. Die Eucharistiefeiern „zum Gedächtnis Christi“ halten wir für ein Model, das nicht nur für das eigene sakramentale Feiern wichtig ist, sondern auch für die Strukturen der Kirche insgesamt. Nach den Worten des Berichts über den Gründonnerstag im Johannesevangelium (Joh 13, 1-15) sollen diese Strukturen schon auf den ersten Blick den Charakter der Versammlung und des Dienstes haben und nicht einen Charakter der Machtausübung und der Bürokratie. Liturgie soll das Wesen der Kirche ausdrücken.
3. Priester
Wir erinnern die Leitung der Kirche aber auch alle Gläubigen an ihre Verantwortung und weisen auf die Überlastung der Priester im Pfarrdienst hin. Man erwartet von ihnen großen Arbeitseinsatz, interessiert sich aber nur wenig, unter welchen Bedingungen sie leben und arbeiten müssen. Die slowakische Kirchen-Hierarchie versetzt die Priester von einem Ort zum anderen, ohne sie oder die Pfarrmitglieder um ihr Einverständnis zu fragen. Es macht den Eindruck, die Bischöfe halten es für richtig, dass die Priester nirgends „Heimat“ finden, sondern wie Soldaten an der Front jederzeit zur Verfügung stehen müssen. Die Strukturen und das ganze Umfeld der Kirche zwingt die Priester dazu, wie Manager des kirchlichen Lebens zu agieren und als „Vollstrecker“ der Rituale zu funktionieren, ohne persönliche Beziehungen eingehen zu können. Unsere Priester feiern die Messe viel zu oft – an Sonntagen oft bis zu viermal, an Wochentagen zweimal und an den Feiertagen gleicht das Eucharistiefeiern einer Sklavenarbeit. In der Slowakei wurden der ständige Diakonat oder die Dienste der Pastoralassistenten und -assistentinnen nie propagiert und eingeführt. Wenn es nicht möglich ist, die überlasteten Priester durch andere Personen zu ersetzen, feiern diese Priester die Eucharistie und spenden die Sakramente nicht im wahren Sinn, sondern sie werden mechanische, leblose Zeremonienmeister. Die liturgischen Feiern machen sie geistig nicht stärker und fröhlicher, sondern im Gegenteil, durch solche Feiern werden sie immer mehr müde und geistig leer. Wir wissen, dass es in vielen Pfarren nicht möglich ist, sofort die Zahl der Messfeiern zu reduzieren, weil die Menschen an diese Zahl gewöhnt sind. Wir wollen aber solche Formen der Eucharistiefeiern suchen, die einerseits die Priester entlasten und andererseits das gemeinsame Priestertum der Getauften immer stärker betonen und immer präsenter macht.
4. Pfarren
In der Slowakei gibt es einen ähnlichen Priestermangel wie in vielen anderen Ländern. In den westeuropäischen Staaten legen die Bischöfe Pfarreien zu großen administrativen Zentren zusammen – „Großraumpfarren“ – um den Priestermangel zu lindern. In der Slowakei gibt es schon seit Langem große Stadtpfarren, in welchen ein Priester zehntausend und noch mehrere Menschen betreut. Eine Lösung zu finden ist nicht einfach: wenn man in solch riesige Pfarren mehrere „mobile“ Priester einsetzt, gibt es zwar eine „Sakramenten – Not – Versorgung“, aber Beziehungen und pastorale Nähe gibt es nicht. Der Priester ist dann Zelebrant, nicht Seelsorger. Wo Priester nach außen vorbildliche Arbeit leisten, vor allem in den Dörfern, kommt die Seelsorge nach „innen“ zu kurz. Die langjährige und anhaltende Reformblockade in der Kirche hat es beim herrschenden, absolutistisch gelebten zölibatären Priestertum zum Zurückbilden anderer notwendiger Eigenschaften für Priester kommen lassen. Viele Priester sind einfach ungeeignet in der heutigen Zeit eine kirchliche Gemeinschaft zu bilden und zu leiten. Sie haben es auch nie gelernt. Wir werden uns deswegen um eine Transformation der Pfarren bemühen. Sie sollen sich von administrativen Zentren in Gemeinschaften konkreter Brüder und Schwestern wandeln, wo der Priester im Dienste der Einheit dieser Gemeinde als ein Bruder unter Schwestern und Brüdern wirkt und die Gemeinschaft die Verantwortung für das geistige und wirtschaftliche Leben der Pfarre übernimmt. Wir werden gleichzeitig die Entstehung alternativer Basisgemeinden unterstützen, die von geeigneten und verantwortungsbewussten Personen – egal ob geweiht oder nicht – geleitet werden. Solche Gemeinden sollen offen für alle sein, vor allem für die Suchenden.
5. Geistliche Berufe
Wir sind überzeugt, Christus beruft auch heute, ähnlich wie am Anfang des Christentums, Männer und Frauen verschiedener Stände und Bildung, denen die Einheit am Herzen liegt, um andere Brüder und Schwestern im Glauben zu stärken. Diesen Männern und Frauen, welche die örtliche kirchliche Gemeinde für den Priesterdienst geeignet und würdig erkennt, wollen wir in der Öffentlichkeit Platz geben, um ihren Dienst und ihr Zeugnis zu praktizieren. In diesem Zusammenhang unterstützen wir alle Bemühungen unserer katholischen Brüder und Schwestern in der Welt, damit sich die Rechtsvorschriften für das Priestertum in der Kirche in Richtung größerer Pluralität ändern. Wir halten es für richtig, dass das priesterliche Leben die Freiheit des Evangeliums für das Reich Gottes widerspiegelt. Diese Freiheit verstehen wir aber keinesfalls als “single” Lebensstil. In der Slowakei haben wir gute Erfahrung mit dem Dienst von verheirateten griechisch-katholischen Priestern, die Gottesdienste auch für die Gläubigen der römisch-katholischen Kirche feiern. Ähnlich gute Erfahrungen haben wir mit den verheirateten Männern, die sich in der Zeit des kommunistischen Totalitarismus geheim zu Priestern weihen ließen und sehr vorbildlich neben Familie und Beruf als Priester dienten. Wir haben in der Slowakei auch sehr viele Priester, die sich entschlossen haben, eine verantwortungsvolle Beziehung mit einer Frau zu führen, weshalb sie wegen des gültigen Kirchenrechts vom Dienst suspendiert worden sind. Wir bekennen uns zu all jenen, die ihr Priestertum trotzdem weiterhin als Gottes Geschenk im Dienste an den Menschen sehen. Wir halten sie für unsere Kollegen und Brüder und wir lehnen es ab, sie als nicht würdig zu erachten, die Eucharistie zu empfangen und wollen sie als vollständige Mitglieder der kirchlichen Gemeinschaft sehen. Im Gegenteil, wir werden die Möglichkeit suchen, sie in die seelsorgliche Arbeit zu integrieren.
6. Katechese
Wir stellen mit anderen verantwortungsbewussten Menschen in der Kirche fest, dass die Weitergabe des Glaubens an die jüngeren Generationen in der heutigen Zeit sowohl in den Familien als auch in kirchlichen Institutionen nicht ausreichend gegeben ist. Das Problem sehen wir teilweise im System des Religionsunterrichts, wie er nach 1990 in der Slowakei eingeführt worden ist. Er weckt falsche Hoffnungen, weil er die Verantwortung für die Formation des Glaubens fast ausschließlich Religionslehrerinnen und - lehrern in den Schulen überträgt. Die Verkündigung des Evangeliums ist für viele nur zu einem Schulunterrichtgegenstand geworden. Es ist eher ein neues Unterrichtsfach als die Vermittlung der Erfahrung von Gottes Nähe. Die Qualität des Religionsunterrichtes an unseren Schulen ist sehr unterschiedlich. Sie hängt von den lehrenden Personen, ihrer Ausbildung und ihrem Eifer ab. Manche von ihnen sind liebevolle Begleiter und Freunde der jungen Menschen, andere geben nur trockene Formulierungen weiter und haben keine Beziehung zu den Schülerinnen und Schülern und auch keinen Einfluss auf sie. Ähnliches geschieht auch bei der Vorbereitung zur Firmung, dem Sakrament des Heranwachsens. Oft ist sie zu formal mit Betonung auf Äußerlichkeiten. Wir halten es für wichtig, bei der Verkündigung des Evangeliums zu sagen, dass die Familien und kleinere Gruppierungen bei solchen Vorbereitungen eine nicht ersetzbare Rolle spielen. Gerade bei der Verkündigung des Glaubens an junge Menschen zeigt sich, wie notwendig es ist, das Amts-Priestertum in der Kirche nicht „exklusiv“ zu verstehen. Die Pluralität der Berufungen ist zu fördern und die Verantwortung zu übertragen. Dies wird seine Früchte im Dienst an Kindern, aber auch alten, gesunden wie kranken, einfachen wie ausgebildeten Menschen tragen.
7. Finanzen
Wir fordern die Trennung der Finanzierung von Kirche und Staat. Geeignete Regelungen sollten mit Zustimmung der Vertreter des ganzen Kirchevolkes getroffen werden, jedenfalls nicht schon nach geheimen Gesprächen zwischen Bischöfen und Politikern, wie es bis jetzt Usus war. Der Staat kann sich weder von der Mitfinanzierung von Kulturobjekten, die im Besitz der Kirche sind, noch vom Sozialdienst der Kirche, der für alle Menschen gilt, entziehen. Auf der anderen Seite halten wir es für beschämend, wenn Priester voll im seelsorgerischen Dienst tätig sind und nur mit einem minimalen Gehalt des Staates entlohnt werden, statt für ihre Tätigkeit von der Gemeinde honoriert zu werden. Nach dem Prinzip der Subsidiarität müssen die kirchlichen Finanzen von den Mitgliedern verteilt und kontrolliert werden, die sie aufbringen. Wir werden uns deswegen dafür einsetzen, dass sich die Mitglieder der Kirche als verantwortliche Besitzer des Kirchenvermögens fühlen und als solche mit dem Staat und der Kirche kooperativ handeln. Die bischöflichen Ämter sollen in den Sachen der kirchlichen Wirtschaft eine Koordinationsrolle, nicht eine unkontrollierte Machtposition ausüben, die mit den Menschen in der Kirche nichts zu tun hat.
Schluss
Mit unseren Verpflichtungen und der Unterstützung der Reformen in der Kirche wollen wir die Kluft zwischen dem Papst und den von ihm ernannten Bischöfen auf der einen Seite, sowie den Priestern und Gläubigen auf der anderen Seite überwinden. Wir halten die Bischöfe nicht für „die Herren unseres Glaubens“, wir halten sie auch nicht für die Väter des Volkes Gottes im patriarchalen Sinn, sondern für unsere Brüder im spezifischen Dienst der Einheit für die universale Kirche. Die Kirche soll keine Herde unmündiger Menschen sein, die in einer Gesellschaft nicht miteinander kommunizierenden Individualisten lebt, sondern eine Gemeinschaft im Dialog als Zeichen des Dienstes aneinander.
Unsere Vorschläge für die Erneuerung der Kirche sind keine Instruktion an die Leitung der Kirche, sondern sie sind für das Leben und zur Verwirklichung gedacht. Wir werden es aber mit Dankbarkeit anerkennen, wenn diese Vorschläge auch von der Kirchenleitung akzeptiert werden. Die Erfahrung aber lehrt uns, dass alle wichtigen Änderungen in der Geschichte der Kirche immer zuerst an der Basis gelebt wurden, sich in der Praxis bewährt haben und erst später weltkirchlich ausgearbeitet und bestätigt worden sind. Das Zeugnis des Lebens geht immer der Formulierung von Normen voraus.
Zum Schluss möchten wir sagen, dass Reformkatholiken, für welche wir uns halten, keine säkularisierten oder liberalisierten Menschen sind, die keinen wahren Glauben haben. Wir passen uns nicht dem Zeitgeist an, sondern dem Geist des Evangeliums in der heutigen Zeit. Das Evangelium bleibe der echte Vorbehaltsinhalt unseres Gewissens, der für jeden Christ und Katholik persönlicher und höchster Wertmaßstab und Lebensorientierung ist.
Am TF in Nitra, den 3. März 2012.
(Übersetzung: Peter Žaloudek, Wien, März 2012.)